Putins Krieg gegen eine bessere Welt

Was der Krieg Russlands in der Ukraine mit dem Klimastreik der FFF zu tun hat
Von Thomas Gebhardt

 

Putins Krieg gegen eine moderne Gesellschaft in der Ukraine und überall hat nur vordergründig nichts mit Klimawandel und fossilen Energien zu tun.

 

Putin führt den Krieg in der Ukraine nicht nur gegen Freiheit, Vielfalt und Demokratie, sondern auch gegen die globale Energiewende und dagegen, dass fossile Energien großflächig ersetzt werden. Klingt absurd oder zumindest sehr weit hergeholt? Ich werde im Folgenden versuchen zu erklären, warum es gute Gründe gibt, davon auszugehen, dass diese scheinbar sehr unterschiedlichen Themen eng miteinander verflochten sind.

Am Beginn meines Versuchs stehen zwei Thesen:
Erstens: Die Förderung und der Vertrieb von Erdöl und Erdgas liegt fast immer in den Händen einiger weniger. Dadurch konzentriert sich unverhältnismäßig viel Macht in den Händen dieser Akteure. Fossile (und generell zentralisierte) Energie steht somit im Konflikt mit gelebter Demokratie.
Zweitens: Die Umsetzung der Energiewende ist nicht in erster Linie ein technisches Thema, sondern ein gesellschaftliches.

Fossile Energien sind nicht per se antidemokratisch

 

Arbeiten wie die von Bashar Humeid (Wie erneuerbare Energien die Demokratie fördern) zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen Demokratie bzw. Autoritarismus und Energiewirtschaft gibt. Ich arbeite schon lange im Bereich der dezentralen Energiegewinnung. Vor einigen Jahren hatte ich das Glück, zufällig eine Politik-Wissenschaftlerin kennenzulernen, die zu dieser Zeit an ihrer Dissertation schrieb - unter anderem ging es darin um weltweite politische und gesellschaftliche Auswirkungen der unterschiedlichen „Energiequellen“ (Energie kann nicht erzeugt oder vernichtet, sondern nur umgewandelt werden). Ein Fazit, das sich mir eingeprägt hat, ist folgendes: Eine in der Entstehung stark zentrale Energie wird auch immer eine starke Machtkonzentration in den Händen weniger zur Folge haben - sei es direkt in Form der Staatsorganisation oder indirekt durch große finanzielle Macht einzelner Personen oder Konzerne. Egal, ob Russland, China oder USA: Die Förderung und der Vertrieb von Rohöl und Erdgas liegt weltweit im Wesentlichen in der Hand von ca. zehn großen Playern. In marktwirtschaftlichen Demokratien sind das Ölmultis, in China und Russland Staatsunternehmen.

 

Dezentrale Energie hat auch das Potential, die Gesellschaft demokratischer zu machen

 

Vor diesem Hintergrund wird klar, dass mit einer echten globalen Energiewende auch die Chance auf echte politische Veränderung in den autoritär regierten öl- und gasfördernden Ländern besteht. Mehr noch, wir haben sogar die Chance, mit einer intelligent gestalteten Energiewende die wirtschaftliche und politische Macht der großen Energieversorger einzudämmen. Für Russland bedeutet das, dass eine globale Energiewende auch eine Bedrohung für die bestehende Ordnung ist.

Dabei ist fossile Energie nicht per se antidemokratisch. Wie Humeid erwähnt, hatte die arbeitsintensive Kohleförderung in Deutschland möglicherweise durchaus einen positiven Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung. Unter den öl- und gasfördernden Ländern sticht Norwegens Staatsfonds als demokratische und soziale Ausnahme heraus. Dies ist der weltweit größte Staatsfonds und das Land hat ihn zum großen Teil mit seinen Gewinnen aus fossilen Energien aufgebaut. Er ist ein zentrales Standbein für die Sozialpolitik des Landes und die Förderung erneuerbare Energien. Aber die Förderung und der Vertrieb von Öl und Gas benötigen nur sehr wenig Arbeitskraft und liegen fast ausschließlich in der Hand von Herrschern und Mineralölkonzernen – und dadurch stehen sie grudnsätzlich in Konkurrenz zu freiheitlichen, demokratischen Gesellschaftsmodellen. Dass dies nicht nur für die russische Oligarchie und arabische Monarchien gilt, sondern auch für westliche Wirtschaftsmächte, zeigen exemplarisch die Aktivitäten von Shell in Nigeria. Dort legte das Unternehmen im Jahr 2009 einen Rechtsstreit bei, nachdem es beschuldigt worden war, an der Ermordung von neun Führern des Ogoni-Stammes beteiligt gewesen zu sein.

Die Energiewende ist ein gesellschaftliches, demokratisches Thema

 

Seit einigen Jahren streiten wir darüber, wie die Energiewende umgesetzt werden kann – technisch, bürokratisch und politisch. Dabei geht es im Großen und im Kleinen um die Auswirkungen auf den Strommarkt, wie wir ihn heute kennen und um die Kosten für die Gesellschaft und die Bürgerinnen und Bürger. Wie in der derzeitigen Diskussion um Sanktionen im Bereich des Imports von fossilen Energieträgern  aus Russland geht es dabei um eines nicht oder nur ganz am Rande: Um unsere demokratische Gesellschaft.

Dabei lautet die entscheidende Frage im Hinblick auf die Energiewende nicht: „Was können wir (technisch) tun“. Im Kern geht es um die Frage, was wir zu tun bereit sind und was wir dabei erreichen wollen. Stellen wir den kurzfristig niedrigstmöglichen Strompreis in den Mittelpunkt der Diskussion? Oder gestalten wir eine weitgehend CO2-freie Energiezukunft? In der Zwischenzeit scheitern viele Windkraftprojekte an absurden Regulierungen und mangelnder gesellschaftlicher Akzeptanz. Ohne Frage gibt es ernsthafte technische Herausforderungen, die wir lösen müssen, wie die Speicherung der Überschüsse einer fluktuierenden Stromerzeugung oder den Energietransport. Aber die Grundlagen hierfür sind tchnologisch bereits vorhanden: in Form von physikalischen Speichern wie Pumpspeicher- oder Druckspeicher-Kraftwerken, chemisch in Form von Wasserstoff, Methan oder E-Fuels oder elektrochemisch in dezentralen Akkus. Was derzeit zur Umsetzung fehlt, ist vor allem ausreichende Förderung und Akzeptanz.

Wir haben uns an das Gezerre um erneuerbare Energien im großen Maßstab schon so sehr gewöhnt, dass wir das für eine Art natürlichen Zustand halten. Aber daran, dass dieser Streit normal ist, darf man berechtigte Zweifel haben. Es gibt mächtige Interessen, die einem reibungslosen Ausbau der nichtfossilen Energien entgegenstehen. In dieser Diskussion wird sogar übersehen, dass die Gestehungskosten erneuerbarer Energien niedriger sind als die der fossilen. Leider schafft es die Umlagepolitik der großen europäischen Länder, dass Ökostrom auf der Stromrechnung teurer scheint als fossiler. Auch das: Ein politisch-gesellschaftliches Thema, kein technisch-ökonomisches.

Globale Gegenbewegung zur Energiewende

 

Wenn man an Lobbyismus gegen Dekarbonisierung denk, denkt man in Deutschland  natürlich zuerst an die Automobilindustrie und die mit ihr verbundenen Wirtschaftszweige. Aber weltweit fördern Personen und Institutionen, die von fossilen Energien profitieren, Autos, Antifeminismus und Autoritarismus.

Dies geschieht einerseits direkt politisch: Saudi-Arabien präsentiert sich als verlässlicher geostrategischer und militärischer Partner. Russland und Aserbaidschan nehmen über sichtbare und verdeckte Parteienfinanzierung und durch Mandate für pensionierte Politiker:innen direkt Einfluss auf die Politik in der EU und in vielen anderen Ländern. Auch hier haben wir uns schon so sehr an diese Einflussnahme gewöhnt, dass der notwendige Aufschrei in den meisten Fällen ausbleibt, selbst wenn es sich erkennbar um offensichtliche Korruption oder Begünstigungen handelt. Darüber hinaus findet politische Einflussnahme über Hochschulförderungen, Werbung und klassischen Lobbyismus statt. Und wirtschaftlich-technisch ist ein System entstanden, von dem Firmen, Einzelpersonen und Politiker:innen in Deutschland profitieren – z.B. im Umfeld von Nord Stream II und durch ein erstaunliches Auftragsvolumen insbesondere in der spezialisierten Entwicklung. Ziel dieser Einflussnahme ist es, in möglichst großes Netzwerk aus Entscheidern und Beratern aufzubauen, das den fossilen Status Quo aus Eigeninteresse verteidigt. Unsere Energieabhängigkeit von Russland ist eine der Folgen dieser Einflussnahme.

Wir können sofort anfangen, etwas gegen diese Situation zu tun.

 

Für eine schnellere und umfassende Energiewende fehlt bisher vor allem der politische und gesellschaftliche Wille. Ein bisschen Grün finden wir alle gut, so lange sich an der Versorgung mit günstigem Strom und Gas nichts ändert. Dabei haben wir gesellschaftlich und auch global politisch so viel zu gewinnen! Nachhaltige Energie bedeutet Unabhängigkeit. Dezentrale Energie ist Demokratisierung. Aber das Prinzip ist nicht binär: Je weiter wir die Unabhängigkeit gesellschaftlich herunterbrechen, je mehr Beteiligung wir auf individueller Ebene schaffen, desto ausgeprägter sind diese Effekte. Große Offshore-Windparks in den Händen der Energieriesen sind ein Schritt zu mehr Unabhängigkeit und zur Dekarbonisierung, aber mit Windkraftprojekten als Beteiligungsgesellschaften im Besitz der Bürger:innen, oder ganz einfach durch Bürger:innen, die mit Solarenergie am Strommarkt teilhaben werden, wird Energieunabhängigkeit zum gesellschaftlichen Prinzip – ein Modell auch für die Unabhängigkeit ärmerer Regionen dieser Welt?!

Und diese Unabhängigkeit ist bunt. Natürlich bedeutet Selbstbestimmtheit in der gesellschaftlichen Konsequenz auch Vielfalt: Vielfalt der Lebensentwürfe, Vielfalt der Identitäten, politische Vielfalt und Meinungsvielfalt. Der autoritäre Chauvinismus ist oberflächlich ein gesellschaftlicher Gegenentwurf, aber er wird massiv gefördert von denen, die den gesellschaftlichen Wandel verhindern wollen – denn der gesellschaftliche Wandel ist der zentrale Baustein in eine CO2-freie Energie.

Auch deswegen kämpft Putin seit vielen Jahren gegen Freiheit und Diversität.
Deswegen finanziert Russland anti-fortschrittliche Parteien (Rassemblement National, Strategiepapier Kreml, Trump) und Bewegungen auf der ganzen Welt. Deswegen ist es grundlegend falsch, zuzulassen, dass öl- und gasfördernde autokratische Regime ihren weltweiten Einfluss durch global ausgestrahlte Großereignisse wie die Fußball-WM ausbauen und festigen. Investitionen in weitgehend CO2-freie Energie sind der entscheidende Schritt, um die globale Macht dieser Regime zu beenden.

Auf dem Weg zu einer dekarbonisierten, energiedemokratischen Welt stehen wir derzeit noch ganz am Anfang. Ein Großteil unserer Energie stammt derzeit aus Öl und Gas, welche in den Händen einiger weniger Player liegen. Der Ausbau der CO2-freien Energien in Europa ist beachtlich – aber wir sollten nicht vergessen, dass der weltweite Verbrauch fossiler Energien gleichzeitig weiter wächst.

Das freiheitlich-demokratische Potential der alternativen Energien

 

Erneuerbare Energien bieten über die Unabhängigkeit von Staaten und Regimen hinaus ein enormes Unabhängigkeits-Potential. Bei Solardächern im Besitz von Privathaushalten wird das schon jetzt besonders deutlich. Aber die Palette reicht vom Fließwasserkraftwerk in kommunaler Hand über Bürgerbeteiligungen an Windkraftwerken bis zu solaren Kochstellen in armen, sonnenreichen Regionen der Erde.  Überall dort, wo natürliche Ressourcen lokal in grüne Energie umgewandelt und genutzt werden, manifestiert sich ein Stück Unabhängigkeit – wirtschaftlich und politisch. Und diese Unabhängigkeit hat eine lokale, gesellschaftliche Dimension, aber auch eine globale politische – und in dieser globalen Dimension verringern alternative Energien die Macht der Monopolisten und der Autokraten. Auf lokaler Ebene ist dezentrale umweltfreundliche Energie nichts weniger als ein Stück Demokratie und Freiheit.

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