Die Mehrwertsteuersenkung auf Grundnahrungsmittel muss her!

Auf Twitter ist eine Debatte über die Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel entbrannt, die nicht an den sonst so üblichen Linien verläuft. Der Grund dafür ist, dass die letzten Senkungen ähnlicher Art nicht wirklich fruchtbar ausgegangen sind. So wurde die Senkung der EEG-Umlage nicht an die Kund:innen weiter gegeben und beim Tankrabatt sieht es aktuell auch eher danach aus, dass diese Wohltat der Bundesregierung bei den Konzernen hängen bleibt.

 

Das alles hat dazu geführt, dass auch im eher linken Lager eine gewisse Skepsis gegenüber diesen Überlegungen herrscht.

 

Ich möchte hier meine Sicht darlegen und warum ich für eine Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel bin. Denn auch unter meinen Tweets wird mir immer wieder die Frage gestellt, warum ich für diese bin. Leider gelingt es mir auf Twitter nicht, die Punkte auf Grund der Kürze der Tweets auszuführen und so wird der Link zum Beitrag wohl noch öfters gepostet werden.

 

 

Ulrich Schneider ist Geschäftsführer des "Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e. V. " und ein Kämpfer für die Rechte finanziell benachteiligter Personen.
Ulrich Schneider ist Geschäftsführer des "Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e. V. " und ein Kämpfer für die Rechte finanziell benachteiligter Personen.

Das Konzept

Bevor ich auf die Punkte eingehe, wie sich der Lebensmittelmarkt vom Energiemarkt unterscheidet, müssen wir erst einmal die Grundlage schaffen, worüber wir eigentlich reden und was mein Konzept dazu wäre.

 

Wenn wir im Supermarkt etwas kaufen, zahlen wir darauf die Mehrwertsteuer. Es ist dabei unerheblich, wie viel Geld du monatlich verfügbar hast und wie viel nicht. Alle zahlen exakt die selbe Steuer für exakt die selben Produkte.
Das ist der Grund, weswegen eine Mehrwertsteuersenkung in eher linken Kreisen eigentlich so beliebt ist.  Denn die Mehrwertsteuer gehört zu den indirekten Steuern, die das verfügbare Haushaltseinkommen vor allem von ärmeren Menschen prozentual am stärksten belastet.

Die Mehrwertsteuer macht allerdings auch einen großen Teil des öffentlichen Haushalts aus, weswegen man genau überlegen sollte, wie diese erhoben und wie viel gekürzt wird. Ansonsten haben geringe und mittlere Einkommen nämlich nichts davon, da das öffentliche Schwimmbad nicht mehr bezahlt werden kann oder Sozialleistungen gekürzt werden und unterm Strich noch weniger finanziell bei diesen Menschen ankommt und ihre Freizeitaktivitäten noch unbezahlbarer werden oder ganz ausfallen.

 

Wegen dieses Hintergrundes bin ich dafür, dass die Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel gegenfinanziert wird - innerhalb der Mehrwertsteuer.

 

Was heißt das konkret?

- Mehrwertsteuer auf die meisten Grundnahrungsmittel (Obst, Gemüse, Milchersatzprodukte wie Hafermilch, Nudeln....) auf 0%

- Mehrwertsteuer auf Fleisch und Fisch von 7% auf 19%

- Mehrwertsteuererhöhung auf Luxusartikel (Kaviar, Austern, Alkohol, Jachten...)

- Einführung einer Zuckersteuer (tatsächlich nicht auf unverarbeiteten Zucker oder natürliche Süßungsmittel wie Honig)

 

Die Einführung einer Zuckersteuer und der Satz für Luxusartikel muss sich hierbei an die Ausfälle durch die Herabsetzung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel richten.

 

Der charmante Effekt hierbei ist, dass wir hierbei konkret die Preise beeinflussen und somit eine gewisse Lenkungswirkung entfalten.

 

Pro und Contra

Durch diese indirekte Preisgestaltung beeinflussen wir die Kund:innen auch dabei, welche Produkte sie kaufen.
Ist das Fleisch auf einmal 12% teurer, wird Fleisch weniger gekauft, was einen Einfluss auf die Massentierhaltung nimmt. Hierbei haben wir also eine Tierschutz- und Umweltmaßnahme mit inbegriffen. Wird der Fisch teurer, hilft dies hoffentlich gegen Überfischung der Meere. Und wenn wir Milchersatzprodukte von einer höheren Mehrwertsteuer als auf Milch befreien, wird sie auch konkurrenzfähiger.

 

Im Umkehrschluss sollten wir uns nicht vormachen, dass wir hierbei keine Lenkungwirkung bei Besserverdienenden und Reichen entfalten. Wir schaffen damit zum Teil auch wieder andere Luxusprodukte, da sie für den normalen Teil der Bevölkerung weniger erschwinglich sind. Dies ist die Kehrseite der Medaille, wofür mir auch noch keine Lösung eingefallen ist.

 

Ein weiterer positiver Effekt ist, dass wir mit der Mehrwertsteuersenkung ungesunde Lebensmittel teurer machen. Dies wird sich auf die Kosten im Gesundheitssektor auswirken, wo wir in den nächsten Jahren große Probleme erwarten dürfen. Wir nehmen mit dieser Maßnahme also etwas Druck vom Gesundheitssystem herunter, da die Ernährung natürlich großen Einfluss auf unseren Gesundheitszustand hat. Ich gebe zu, dass dieser Punkt nur untergeordnet eine Rolle spielt, da es im Gesundheitssektor viele größere Dinge gibt, die die Kosten senken würden (Abschaffung der bezahlten Homöopathie, Verbannung der Anthroposophie, Rekommunalisierung von Krankenhäusern...). Nur sind es bekanntlich auch die eher kleineren Maßnahmen, die in der Summe einen großen Effekt ausmachen.

 

Kritiker:innen halten vor, dass durch die Neuordnung der Mehrwertsteuer dies für Unternehmen und Kund:innen unübersichtlicher wird. Naja. Als normaldenkender Mensch erklärt sich mir z.B. nicht, warum die Hafermilch - die ja so nicht genannt werden darf - einen Mehrwertsteuersatz von 19% hat und die Kuhmilch nur 7%. Was von beidem ich mir in meinen Kaffee schütte, ist vielleicht noch eine Geschmacksfrage. Den Kaffee färben allerdings beide.

 

Ein weiterer großer Kritikpunkt ist, dass auch Besserverdienende und Reiche von der Senkung profitieren würde. Das ist natürlich richtig. Jedoch gibt es hier die Mitnahmeeffekte nicht in dem Maße, wie wir sie z.B. im Energiesektor gewohnt sind. Denn auch Reiche können nicht mehr Brot essen, nur weil es günstiger ist. Ihr Bedarf ist schließlich gesättigt und niemand wird deswegen auf einmal 50 Eistruhen in der Villa betreiben. Zusätzlich würden sie ihre Ersparnis über die Erhöhung der Luxusartikel wieder verlieren.

 

 

Und was unterscheidet nun den Lebensmittelmarkt vom Energiemarkt?

Ulrich Schneider - stellvertretend für viele andere Menschen - prangern aus der Erfahrung anderer Senkungen von  indirekten Steuern an, dass die Mehrwertsteuersenkung verpuffen würde und die Händler:innen / Produzent:innen sich die Senkung in die eigene Tasche stecken.

 

Der Lebensmittelmarkt ist nicht wie der Energiemarkt. Die großen Platzhirsche - Aldi, Lidl, Rewe und Edeka - stehen immer wieder wegen ihrer Preispolitik in der Kritik. In den letzten Jahren haben wir viel über Billigmilch, Billigfleisch, Landwirt:innen die ihre Ernte vernichten usw. gelesen. Dies ist eine direkte Folge aus dem Preiskampf, denn die Lebensmittelkonzerne nutzen ihre Einkaufsmacht und setzen den Landwirt:innen die Pistole auf die Brust. Darüber sollte auch der Anstieg der Lebensmittelpreise nicht hinwegtäuschen. Denn dies sind noch nicht lange die Preise, die ein anderes Marktumfeld zulassen würden.

 

Ja. Auch in Zukunft ist damit zu rechnen, dass die Lebensmittelpreise ansteigen. So wie in allen Bereichen auch. Die Frage ist nur, ob die Preise über Gebühr durch eine Mehrwertsteuersenkung ansteigen oder ob diese den Preisanstieg verzögert. Auf Grund der Erfahrungen in der Vergangenheit dürfen wir davon ausgehen, dass die Preise langsamer ansteigen werden. Denn wenn Aldi nur 10 Cent für den Liter Milch "zu viel" nimmt, wird Rewe dies ausnutzen und die Leute bei Rewe die Milch kaufen.


Beim Öl ist dies komplett anders. Nicht umsonst gibt es trotz des großen Marktes immer nur wenige Cent Unterschied an den "konkurrierenden" Tankstellen, was auch am Markt an sich liegt. Zwar gibt es viele Tankstellen. Diese gehören aber zum Großteil wenigen Konzernen. Es gibt viel weniger Raffinerien und genau so wenige erdölfördernde Länder, die darüber hinaus auch noch ihre Preise miteinander absprechen (siehe OPEC). Ist Lidl mit dem Preis der einen Molkerei unzufrieden, wird sie einfach dort nicht mehr gekauft und stattdessen bei der Konkurrenz für weniger Geld das Angebot eingedeckt. Man stelle sich vor, wir hätten diesen Zustand beim Öl...