Mehrwertsteuer auf pflanzliche Lebensmittel abschaffen?

Die hauptsächlich aus dem Russland-Krieg resultierende hohe Inflation (Stichwort Anstieg Energiepreise und der weltweite Anstieg des Getreides) hat extreme Auswirkungen auf unsere Ernährung. So stieg die Inflation im Juni zum Vorjahresmonat allein für lebensmittel um 14,8 % überdurchschnittlich.

 

Eine weit verbreitete Forderung daraus ist die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf (pflanzliche) Lebensmittel, über die wir auch bei @Watch_Union immer wieder große Diskussionen führen. Um es uns leichter zu machen und nicht ständig die Tweets zu übertragen, gehe ich in diesem Artikel darauf ausführlich ein.

 

Kleiner Side-Fact: Nein. Wir haben keine galoppierende Inflation, wie es große Medien gerne behaupten. Mit einer Inflation unter 10 % (Juli voraussichtlich 7,5 %) sind wir davon sogar meilenwert entfernt. Denn von galoppierender inflation spricht man ab einer Inflationsrate von über 20 %. Diese Rhetorik nutzen Medien als Aufmacher, damit ihr auch ja auf die Artikel klickt und damit Geld in die Kassen bringt.

 

Pflanzliche Lebensmittel ohne Mehrwertsteuer?

Am 5. April 2022 hat die europäische Kommission unter der Kommissionschefin Ursula von der Leyen die Mehrwertsteuersystemrichtlinie geändert, weswegen eine Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel möglich ist. Vorher konnte diese höchstens auf 5 % abgesenkt werden. Seitdem gibt es unterschiedliche Ausgestaltungsforderungen, um diesen Spielraum zu nutzen.

 

Der Sozialverband VdK fordert z.B., dass die Mehrwertsteuer auf alle Lebensmittel abgeschafft wird. Dies würde auch die Abschaffung bei tierischen Lebensmittel beinhalten. Das Umweltbundesamt fordert hingegen nur die Abschaffung auf pflanzliche Lebensmittel. Ich möchte mich hierbei lediglich auf die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf pflanzliche Lebensmittel beschränken, da ich dies aus ökologischen Aspekten für die bessere Variante halte.

 

Unter pflanzlichen Lebensmittel fallen Getreideerzeugnisse (Hafermilch, Mehl..), pflanzliche Öle (Rapsöl, Olivenöl...) und Obst & Gemüse. Privathaushalte würden damit um etwa 4 Milliarden Euro entlastet werden.

 

Um der FDP entgegenzukommen, die einen ausgeglichenen Haushalt einfordert, wäre mein Vorschlag der Gegenfinanzierung, die EInführung einer Zuckersteuer und die Anhebung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte (Kuhmilch, Fleisch...).

 

Diskussionspunkt 1: Mehrwertsteuerabschaffung entlastet Besserverdienende stärker

Wer mir schon länger folgt, weiß sicherlich, dass ich kein Fan von Mehrwertsteuersenkungen bin. Ich habe mich z.B. gegen die temporäre Mehrwertsteuersenkung ausgesprochen und mich dort den selben Argumenten bedient, die ich dabei nun zum Teil entkräfte oder nicht ganz so ernst nehme. Dies liegt nicht daran, dass ich in meiner Denkweise inkonsequent bin oder meine Meinung geändert habe. Die Fälle sind hier nur absolut unterschiedlich.

 

Kommen wir zu den Fakten.

 

Tagesschau: "CDU-Haushaltspolitiker Fritz Güntzler: Ein kompletter Verzicht auf die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel würde einem ärmeren Haushalt eine jährliche Entlastung von 74 Euro bringen, einem reicheren Haushalt dagegen rund 180 Euro."

 

Ich habe versucht, die Zahlen zu verifizieren und bin dabei zur überraschenden Erkenntnis gekommen, dass es sich hierbei teilweise um Zahlen aus dem Jahr 2017 handelt. Für die 180 Euro hingegen konnte ich keine Grundlage finden.

 

Denn beim Wirtschaftsdienst.eu heißt es dazu: "Daher würde die Verteilungswirkung eines Nullsteuersatzes auf Lebensmittel ergeben, dass das unterste Einkommensdezil 2017 um rund 74 Euro im Jahr bzw. 0,94 % ihres Nettoeinkommens entlastet und das oberste Einkommensdezil hingegen um 163 Euro im Jahr bzw. 0,36 % ihres Nettoeinkommens entlastet werden."

 

Ich weiß. Sind ja nur 17 Euro. Bei Summen im niedrigen dreistelligen Bereich ist das allerdings eine Menge und passt zur politischen Agenda. Und das die Zahlen aus 2017 sind: Geschenkt.

 

Hier gilt also dasselbe, was ich bei der temporären Mehrwertsteuersenkung kritisiert habe: Grundsätzlich profitieren höhere Einkommen von einer Mehrwertsteuersenkung. Woran das liegt? Einen wissenschaftlichen Artikel konnte ich dazu nicht finden. Dennoch liegen die Tatsachen dafür auf der Hand. Besserverdienende kaufen oft nicht die Discounter-Eigenmarken. Sie kaufen in der Regel auch nicht das Billigfleisch. So kann zwischen der Kuhmilch vom Discounter (um die 1 €) zur Bio-Milch (um die 1,50 €) schon einmal ein Unterschied von bis zu 50 Cent klaffen. In anderen Dimensionen steigen wir vor, wenn wir das Fleisch statt im Kühlregal beim Metzger kaufen. Geht man von ganz armen Haushalten weg (Stichwort Nudeln mit Ketschup), liegt es nicht daran, dass Reiche mehr (Menge) essen.

 

Das Argument der absoluten Mehrentlastung besteht also, trifft aber nur deswegen zu, weil andere Produkte gekauft  oder andere Hersteller bevorzugt werden.

 

Anders war dies übrigens bei der temporären Mehrwertsteuersenkung. Von der haben Besserverdienende mehr profitiert, da diese auch für den Kauf eines Lamborghinis galt und sie dort anteilig natürlich mehr ausgemacht hat.

 

Diskussionspunkt 2: Die Abschaffung wird sowieso nicht weitergegeben

Häufig wird in dieser Diskussion immer darauf hingewiesen, dass die Mehrwertsteuerabschaffung sowieso nicht ganz oder nur teilweise weitergegeben wird. Als Beispiele dafür wird unter anderem der Tankrabatt angeführt, bei dem sich Expert:innen zwar nicht einig sind, in welcher Höhe der Rabatt weitergeben wird, sich aber einige dabei sind, dass dieser nicht zu 100 % bei den Verbraucher:innen ankommt.

 

Auch aus der temporären Mehrwertsteuersenkung 2020 können Rückschlüsse gezogen werden.

 

Wirtschaftsdienst.eu dazu: "Die Senkung wurde 2020 gesamtwirtschaftlich zu rund 60 % (Bundesbank, 2020) weitergegeben. In Supermärkten wurde über 70 % der Senkung und bei Lebensmitteln sowie nichtalkoholischen Getränken 80 % der Senkung weitergegeben (Fuest et. al., 2022)."

 

Wir können also feststellen, dass auch bei der Mehrwertsteuersenkung 2020 diese besonders im Bereich der Lebensmittel weitergegeben wurde.

 

Weitere Indizien für eine überwiegende Weitergabe außerhalb des hochpreisigen Preissegments ist der massive Preiskampf zwischen den Oligopolisten am Markt. Zwar gibt es nur wenige Unternehmen, die den Großteil des Lebensmittelmarktes unter sich aufteilen. Diese sind allerdings berühmt und berüchtigt für ihren Preiskampf. Dieser führt in extremen Fällen sogar dazu, dass Produzent:innen nicht in der Lage sind, wirtschaftlich zu produzieren und ihre Ernte vernichten. Die Gewinnmargen im Lebensmittelbereich liegen bei den Supermärkten im niedrigen einstelligen Bereich. Dort geht es um die Menge. Und die Firmen fallen immer wieder damit auf, dass sie einen Preis vorschreiben. Akzeptieren die Landwirt:innen diesen Preis nicht, wird es halt dort nicht gekauft.

 

Es ist also davon auszugehen, dass die Mehrwertsteuerabschaffung in diesem Bereich zum großen Teil weitergegeben wird. Ausnahme hierbei ist natürlich das Hochpreissegment, da es dort nicht auf den Cent ankommt.

 

Diskussionspunkt 3: Veganer:innen / Vegetarier:innen werden bevorzugt

Dieser Punkt lässt sich schnell entkräften.


So beträgt die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Milchalternativen 19 %.

Die Mehrwertsteuer auf Kuh-Milch beträgt hingegen 7 %.

 

Der Gesetzgeber hat also hier einen absichtlichen Wettbewerbsnachteil geschaffen, obwohl pflanzliche Milchalternativen besser für das Klima sind, weniger Energie zur Herstellung verbrauchen und nebenbei weniger Ausgangsressourcen benötigen.

 

Das Umweltbundesamt dazu: Wenn wir weniger tierische Produkte verzehren, hilft das direkt dem Klima.

 

Wie auch bei fossiler Energie wird bei tierischen Produkten der tatsächliche Preis nicht abgebildet.

 

Man kann es nun so sehen, dass Veganer:innen und Vegetarier:innen durch eine Mehrwertsteuerabschaffung begünstigt werden. Ein Verbot von tierischen Produkten stellt dies allerdings nicht dar und nebenbei ist es auch noch gut für unseren Energieverbrauch und dem Klima, wovon auch Fleischesser:innen wiederum profitieren.