Ich brauche eine Twitter-Pause

Wie ihr sicherlich bemerkt habt, habe ich seit einigen Tagen nicht getwittert.

Wie der Titel schon verrät: Ich brauche eine Twitter- und Nachrichtenpause.

 

Die aktuelle Lage in Deutschland und Europa setzt mir gerade auf mehreren Ebenen zu, was sich auch auf meine Stimmung im Privatleben auswirkt. Und das sollte ein ehrenamtliches Projekt, wofür wir keinen müden Euro bekommen, einfach nicht tun. Meine Akkus sind leer und ich ertrage es aktuell einfach nicht, diese Menschenfeindlichkeit zu kontern und dabei die Twitter-Regeln einzuhalten.

Menschenfeindlichkeit gegen Armutsbetroffenen

Mir geht besonders die Menschenfeindlichkeit gegen Armutsbetroffenen an die Nerven.

Wenn ich dauerhaft in unseren Kommentaren lese, dass 3.500 € für eine vierköpfige Familie mit mindestens einem Erwerbseinkommen zu wenig ist, gleichzeitig die selben Leute 2.000 € für eine vierköpfige Familie im ALG-II-Bezug zu viel finden, reißt mir die Hutschnur. Unsere Gesellschaft ist mittlerweile am Punkt angekommen, wo wir den Leuten nicht einmal das Existenzminum(!) zugestehen und nicht anerkennen, dass es in unserer Gesellschaft Gruppen gibt, auf die wir besonders Rücksicht nehmen müssen. Mir fehlen auch aktuell die Nerven dafür, zu verteidigen, warum es tatsächlich Menschen gibt, die zwar erwerbsfähig sind, aber nicht arbeiten können.

Und diese Kommentare kommen nicht nur aus der Ecke, aus die man es vermuten würde.

 

Was mir dabei so an die Nerven geht?

Es gibt mittlerweile Berichte über Menschen, die mit einem Kohlegrill in der Wohnung heizen, weil sie Angst vor ihrer Energierechnung haben. Die Kund:innen bei der Tafel nehmen immer weiter zu. Könnt ihr euch vorstellen, was passiert, wenn diesen Leuten der Strom oder das Gas abgestellt wird? Nein? Über die Fälle von gescheiterten Banker in New York, die nach der Lehman-Pleite sich umgebracht haben, wurde lang und breit kommuniziert.

 

In diese Kategorie fallen auch die neidvollen Kommentare von Singles, die sich darüber aufregen, wenn man mehr Geld für Alte, Kranke und Familien fordert, weil für diese die Energierechnungen besonders hoch ausfallen und dort kaum Einsparpotenzial vorhanden ist. Irgendwie gehen die Leute davon aus, dass man als Familie in einem Zimmer haust, in dem man sich dauerhaft aufhält.

Menschenfeindlichkeit gegenüber Ukrainer:innen

Seit Tagen darf ich mir Kommentare durchlesen, in denen behauptet wird, Ukrainer:innen werden mit dem Bus über die Grenze gebracht, beantragen hier Sozialleistungen und hauen dann schnell wieder ab. Durch die neuerlichen Aussagen von Friedrich Merz werden die Kommentare und die Feindlichkeit dazu noch zunehmen.

Mir sind diese Aussagen von Merz und Co nicht unbekannt. Selbige Aussagen brachte das braune CDU-Geschwader schon, als der Schengenraum für Rumänien und Bulgarien erweitert wurde. Wenige Jahre später stellte sich heraus, dass die Sozialleistungsbilanz positiv war. Das heißt: Rumän:innen und Bulgar:innen haben mehr in unsere Sozialkassen eingezahlt statt ausgezahlt.

Ganz ab davon gesehen, dass man nicht einfach zum Jobcenter gehen kann und das Geld in die Hand gedrückt bekommt (Meldebescheinigung und Co). Gibt es trotz der Sicherheitsvorkehrungen der Jobcenter Lücken? Bestimmt. Werden uns diese lücken Millionen kosten? Natürlich nicht.

Es wäre also leicht, mit Fakten und Argumente dagegen anzukämpfen.

Doch fehlt mir die Kraft und vor allem die Nerven, um das durchzustehen.

 

Eins noch: Lieber Herr Merz, Sie sind ein widerlicher Rechtspopulist.

Spielchen in Berlin auf den Nacken der Menschen

Meistens finde ich die Spielchen im politischen Berlin sehr interessant und kann mich die meiste Zeit darüber auch amüsieren. Wir befinden uns allerdings in Deutschland und Europa in einer Lage, in der dies mehr als unangebracht ist.

Die massiven Kostensteigerungen bei uns allen im Leben (von Energiepreise bis hin zur Krankenversicherung), der Krieg in der Ukraine, die konservativen Steigbügelhalter des Faschismus in Italien und Schweden, lassen meines Erachtens keinen Spielraum mehr für politische Scheindebatten und Selbstprofilierung von Parteien.

Ich bin daher seit einigen Wochen absolut angewidert von der Selbstprofilierung von Parteien und Politiker:innen.

Mittlerweile bin ich am Punkt, wo ich einigen Politiker:innen einfach nur noch schreiben möchte, wie widerlich und ekelerregend sie in meinen Augen sind.

Anstatt Scheinanträge, die sowieso nicht durchkommen, zu führen, erwarte ich, dass man sich um verantwortungsvolle Politik bemüht.

Anstatt Scheindebatten zu führen, die nicht einmal gut platziert sind, erwarte ich, dass man eine sozial gerechte Politik ausübt.

Die kleinen Situationen

Neben diesen größeren Situationen belastete mich auch die Situation um die Veganer:innen(?)-Debatte, die /MS angestoßen hat.

/MS regte sich sinngemäß darüber auf, dass "kein Fleisch mehr essen" nicht die Komplettlösung für die Massentierhaltung ist.

Und damit liegt er richtig. Der absolute Großteil in unserer Gesellschaft lebt nicht vegan und wird es auch mittelfristig nicht tun.

Ist Veganismus sinnvoll? Unbedingt. Jeder Tag, an dem wir Tierprodukte gegen pflanzliche Produkte austauschen, ist auch gut und sinnvoll. Dennoch hilft "ess einfach kein Fleisch" in der aktuellen Situation nicht weiter. Da Tiere weiterhin gequält werden, wenn du und ich auf Tierprodukte verzichten, braucht es Regeln und Gesetze, um die Haltung zu verbessern.

Ist damit das Tierleid beendet? Keinesfalls. Mit dieser leicht militanten Haltung verbessert sich allerdings nichts. Es ist daher in unser aller Interesse, dass die Menschen weniger Tierprodukte konsumieren und gleichzeitig die Haltungsbedingungen verbessert werden.

 

Zunehmend regt mich auch das Parteisoldatentum auf. Besonders die Grünen sind dort in eins verfallen, was ihre Positionen verrät und was sie über Jahre anderen Parteien vorgeworfen haben.

 

Wo sollen wir da anfangen? Die Heiligsprechung von Robert Habeck? Sankt Robert der mit den größten Leiden LNG-Terminals vorantreibt, statt in erneuerbare Energien zu investieren? Sankt Robert der uns mit schmerzenden Worten in Talkshows erzählt, wie er sich hingebungsvoll für uns alle opfert und dabei die Preise explodieren lässt, Aktionär:innen eine Menge Geld für ein Schrottunternehmen hinterher wirft?

Wir beschäftigen uns immer noch mit Politik und nicht der Neuverfilmung von Passion Christi.

 

Oder wollen wir die Kommntare zu Annalena Baerbock durchgehen, die es nicht hinbekommt, die Kriegsaktionen von Aserbaidschan gegen Armenien ordentlich zu verurteilen, weil dies ethisch zwar richtig wäre, aber die Pläne von Sankt Robert durchkreuzt, von Aserbaidschan mehr Öl und Gas zu beziehen? Eine wertebasierte Außenpolitik, die auch nur die Werte unserer Dax-Unternehmen aufn Schirm hat. Glückwunsch.

 

Und übrigens. Der Cem kann ja auch nichts machen, weil der Christian das nicht erlaubt. Dafür ist er aber mit dem Rad zur Vereidigung gefahren!!!

 

Wir könnten uns auch die Homöopathie-Debatte aus dem Ländle anschauen. Aber ich denke, mein Punkt wurde klar.

Mark Hauptmann

Die Kirsche auf meiner Twitter-Auszeit hat allerdings die Geschichte um den ehemaligen CDU-Abgeordneten Mark Hauptmann aufgesetzt.

Mark Hauptmann durfte knapp 1 Millionen Euro aus Maskendeals behalten, während die selbe Partei durch hochrangige Mandatsträger:innen die Dekadenz im ÖRR und Sozialleistungsempfänger:innen propagiert. Das ist übrigens der gleiche Mark Hauptmann, der sich fleißig aus Taiwan, Aserbaidschan und Vietnam für Lobbyismus (Anzeigengate) bezahlen ließ.

Warum das konsequenzenlos blieb? Weil Abgeordnete ihre eigenen Gesetze schreiben und daher höchst bedacht darauf sind, für sich selbst Lücken zu lassen, bei denen andere schon längst in den Knast gewandert wären.

All das wird von unsere Politiker:innen und vor allem von den Medien nicht angeprangert. Mal gibt es eine eintägie Empörungswelle und dann ist wieder gut. Am System etwas ändern, die Doppelmoral herausstellen oder versuchen, was an der bestehenden Situation zu ändern, geschieht doch schon lange nicht mehr in unserem gesellschaftlichen Diskurs.

 

Und deshalb nehme ich mir eine Twitter-Pause

Wahrscheinlich würde ich weiter machen, wenn wir für dieses Projekt Geld erhalten würden. Dies tun wir aber nicht. Und für ein Hobby nehme ich nicht in Kauf, dass meine Gedanken immer düsterer werden und ich die Fassung verliere.

 

Wie lange ihr nun Ruhe vor mir habt, weiß ich nicht. Ich werde nun erst einmal meine Akkus auffüllen und dann weiter sehen.

Diese Twitter-Pause ist anders als die vorigen. Denn auch schon zuvor gab es Zeiten, wo ich einfach Abstand brauchte. Diesmal bin ich am Punkt angelangt, wo ich mich ernsthaft frage, ob das, was wir tun, überhaupt (noch) einen Sinn hat. Denn geändert hat sich dadurch nichts. Ich frage mich auch, ob ich weiterhin Teil es Spektakels sein will, der am Ende doch nichts erreicht, weil wir als Bevölkerung einfach keine Präsentkörbe den Abgeordneten schicken können. Wir vergeben auch keine teuren Theaterkarten oder Vorstandsposten für die Zeit nach der Abgeordnetentätigkeit.

 

Ich bin müde. Ich bin ausgebrannt. Und deshalb bin ich die nächsten Tage oder Wochen erst einmal nicht für euch da.

 

Bis bald und passt auf euch.

 

Euer Thomas (/TN)